Presse

Frankfurter Rundschau

Abenteuer Altersvorsorge

KOMMENTAR

10. Januar 2004
von Karl Doemens

Gut vierzig Jahre seines Lebens geht der Durchschnittsbürger zur Arbeit. Er zahlt brav seine Rentenbeiträge, sorgt zusätzlich vor und freut sich auf den Ruhestand. Doch binnen weniger Tage wird seine ganze Kalkulation über den Haufen geworfen. Erst erfährt er, dass seine Direktversicherung durch politische Eingriffe schlagartig ein Sechstel des Werts verliert. Dann realisiert er, dass die gesetzlichen Renten im neuen Jahr um neun Euro im Monat gekürzt werden. Schließlich kündigt seine Firma in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Betriebsrente.

Das Beispiel ist nicht übertrieben. Die Altersvorsorge, deren Stabilisierung der Politik als hehres Ziel gilt, verkommt immer mehr zum Lotteriespiel. Dass die gesetzliche Rente alleine zur Sicherung des Lebensstandards nicht mehr ausreicht, haben die meisten Menschen inzwischen akzeptiert. Eine gesunde Mischung von gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge wird von Experten schon lange angeraten und gehört seit der Riester-Reform zur offiziellen Regierungsdoktrin.

Doch mit einem Mal bröckeln alle drei Säulen des Systems: Durch einen Demografiefaktor wird das Niveau der gesetzlichen Rente von 48 Prozent des Bruttolohns bis 2030 unter 40 Prozent sinken. Gleichzeitig ziehen sich viele Arbeitgeber aus der Finanzierung der betrieblichen Vorsorge zurück. Auf die verbliebenen Betriebsrenten müssen nun acht Prozent höhere Kranken- und Pflegeabgaben gezahlt werden. Die ergänzende Vorsorge des Arbeitnehmers über eine Lebensversicherung wirft nach der Kürzung der Überschussbeteiligungen immer weniger ab.

Hat der Beschäftigte - wie von Rot-Grün angeraten - einen Teil seines Gehalts in eine Direktversicherung oder Pensionskasse umgewandelt, greifen bei der einmaligen Auszahlung überraschend AOK, Barmer & Co. rund 16 Prozent des Kapitals ab, und zwar selbst dann, wenn auf die monatlichen Beiträge zur Police schon Sozialabgaben gezahlt wurden.

Für jede einzelne dieser Entwicklungen gibt es Gründe. In einer vergreisenden Gesellschaft kann eine schrumpfende Zahl von Jungen nicht immer mehr Ruhegeld für die Senioren aufbringen. Auch müssen die Alten einen größeren Teil ihrer überproportional hohen Gesundheitskosten selbst tragen. Eine Ausweitung der Beitragspflicht zur Krankenkasse auf andere Einkunftsarten als die Rente erscheint daher nicht unbillig.

Die Lebensversicherungen können nur das ausschütten, was sie an den Kapitalmärkten erwirtschaften. Und trotz aller berechtigten Empörung über das kaltschnäuzige Vorgehen der Commerzbank im konkreten Fall: Wenn Unternehmen wirklich ins Trudeln geraten, wird man sie kaum verpflichten können, die Pensionskassen so lange weiter zu subventionieren, bis sie zusammenbrechen.

So erklärlich die einzelnen Probleme sind, so fatal ist ihre Kumulation: Die Altersvorsorge ist letztlich nicht mehr planbar. Ihre Höhe hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Das sollte die Politik eingestehen. Wenn aber die See unruhig ist, muss man vom Kapitän zumindest Konsequenz und Offenheit bei der Ausrichtung des Kurses verlangen.

Genau daran hapert es. Dieselben Politiker, die die Commerzbank-Bosse schelten, empfehlen den Bürgern heute die betriebliche Altersvorsorge, um sie morgen genau dort abzukassieren. Weshalb müssen Ruheständler auf Betriebsrenten den vollen Krankenbeitrag zahlen, nicht aber auf Miet- und Zinseinnahmen? Weshalb werden Direktversicherungen massiv belastet, nicht aber private Assekuranzpolicen? Und wie sollen Menschen ihr Alter planen, wenn ihnen ohne Vertrauensschutz über Nacht viele tausend Euro vom Ersparten abgezogen werden?

Selbst zehn Tage nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform wissen die Beamten nicht, auf welche Policen nun der Abgabenhammer niedersaust. Eine derart planlose Politik zerstört mehr Vertrauen in die betriebliche Altersvorsorge, als es tausend Sonntagsreden aufbauen können.

[document info]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 09.01.2004 um 17:40:18 Uhr
Erscheinungsdatum 10.01.2004